Literaturkreis Berichte 2023

Treffen Titel Autor
25.01.2023 Das München-Komplott Wolfgang Schorlau
15.03.2023 Der Salzpfad Raynor Winn
19.04.2023 Aufbrechen Tsitsi Dangarembga
10.05.2023 Krimi 1: Die Insel Ragnar Jónasson
10.05.2023 Krimi 2: Der Augensammler Sebastian Fitzek
21.06.2023 Die Anomalie Hervé Le Tellier
19.07.2023 Eine ganze Welt Goldie Goldbloom
20.09.2023 Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor Steffen Schroeder


 

Das München-Komplott

Wolfgang Schorlau

Es geht um das Attentat auf das Münchner Oktoberfest von 1980, bis heute der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte mit 13 Toten und 221 Verletzten. Als Alleintäter wurde der rechtsradikale Gundolf Köhler identifiziert. Endgültig aufgeklärt ist dies bis heute nicht, eine Wiederaufnahme der Ermittlungen von 2012 endete acht Jahre später mit einer erneuten Einstellung des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt.

Dengler versucht, mit seinen Mitteln Licht in die damaligen Ermittlungen zu bringen, und findet viele Ungereimtheiten und Widersprüche, verschwundene Zeugenaussagen, rätselhaft verstorbene Zeugen, vernichtete Asservate, nicht angehörte V-Leute der deutschen Geheimdienste usw. Er vermutet schließlich eine Involvierung der damaligen der NATO unterstellten Gladio-Gruppe.

Das München-Komplot

Literaturkreis Holzgerlingen 25. Januar 2023 (Stadtbücherei)

Der Literaturkreis Holzgerlingen traf sich – fast auf den Tag zwei Jahre nach seiner Gründungssitzung – im Januar 2023 in der Stadtbücherei zu einem reinen Krimiabend. Früher eher als trivial angesehen, ist der Krimi inzwischen eine anerkannte Literaturgattung, für die es sogar Preise gibt, z.B. den jährlichen „Deutschen Krimi-Preis“. Mit dem Preis ausgezeichnete Autoren wie Mankell oder Donna Leon sind vielen von uns ein Begriff.

Zu den Preisträgern gehört auch der Stuttgarter Autor Wolfgang Schorlau. Sein fünfter Dengler-Fall „Das München-Komplott“ war das aktuelle Thema.

Die Diskussion lobte den Krimi als spannend und gut geschrieben, erstaunlich nahe an den damaligen Fakten und mit politischem Engagement („ein Polit-Krimi“). Die (zu vielen) Nebenakteure empfanden manche als „plump“, blass und nicht weiterführend.

Im zweiten Teil des Abends kam ein „lebendiger“ Autor aus dem Schönbuch als Gast in die Stadtbücherei: George B. Wenzel.
George B.Wenzel
Er war viele Jahre Senior Revisor und Senior Sonderermittler eines großen Wirtschaftsunternehmens und begann nach seinem Ruhestand Krimis zu schreiben, die er dem Kreis vorstellte und zum Teil vorlas: „Inenodabilis“ (2016) und „Ein tödliches Spinnennetz“ (2020), letzterer über einen Millionenbetrug mit Steuermitteln und Transaktionen. Sein fiktiver Ermittler Jo Vincente, „Undercover Agent“ einer Böblinger Detektei, kommt einem höchst gefährlichen Wirtschaftskartell auf die Spur, „gerät immer tiefer in die schillernde Welt skrupelloser Industriebosse“ (Kreiszeitung) und riskiert fast sein Leben.

Gefragt, wie lange er an einem solchen Roman arbeite, differenzierte der Autor zunächst zwischen Recherche und Schreiben und schätzte seinen Aufwand für das zweite Buch auf vier bis sechs Stunden täglich, und das zwei Jahre lang. Die Orte, die er beschreibt, hat er alle besucht. Als Fazit (auch seiner Berufstätigkeit) plädierte er lebhaft für die Wichtigkeit von „integrierten Kontrollen in den Geschäftsabläufen“. Ein dritter Krimi, so deutet er an, ist in Arbeit.

zum Anfang


 

Der Salzpfad

Autorin Raynor Winn

416 Seiten, Goldmann Verlag, Taschenbuch

«Der Salzpfad» von Raynor Winn ist ein autobiographischer Reisebericht über Englands mehr als 1000 km langen Fernwanderweg, den South West Coast Path, den die Autorin mit Ihrem Ehemann als «Vagabunden wider Willen» meistern.

2012 werden Raynor und Moth durch zwei Schicksalsschläge heimgesucht. Sie haben in die Firma eines Freundes investiert, die dann bankrott ging. Das Gerichtsurteil hat zur Folge, dass sie alles verlieren: ihr Zuhause, ihr Geld und ihre Erwerbsmöglichkeit. Zudem erfährt Moth, dass er eine unheilbare Nervenkrankheit (CBD) hat, die mit Gedächtnisverlust einhergeht und seine Lebenszeit begrenzt.

In dieser ausweglosen Lage packen sie ein Zelt und das Allernötigste in zwei Rucksäcke und beschließen, den Küstenweg zu erwandern. Ihr Reisebegleiter wird das Buch «Five Hundred Mile Walkies».

Ohne klares Ziel und lange Vorbereitung laufen sie los. Sie begegnen Gastwirten, Naturschwärmern und besser gestellten Wanderern. Sie kämpfen mit Vorurteilen, Ablehnung und der Sorge, dass das Geld für den nächsten Tag nicht mehr reicht. Sie erleben in ihrer unfreiwilligen Außenseiterposition auch die heilende Kraft der Natur, die Liebe füreinander und berührende Mitmenschlichkeit.

Am Ende der Reise geht es Moth nicht nur gesundheitlich besser, sondern beide haben wieder ein Zuhause und eine berufliche Perspektive.

Literaturkreis 15. März 2023 (im Generationenhaus Holzgerlingen, Bericht: Uta-Maria Köninger)

Ein lebendiger Vortrag über das Buch bildete den Einstieg in die Diskussion, die um die Frage kreiste: «Wie geht man damit um, wenn man unfreiwillig in der Mitte des Lebens noch einmal komplett von vorn anfangen muss?» Herausfordernd zu lesen waren die harten Bedingungen des Wanderns: die körperlichen Beschwerden, die Nässe, die Kälte, der Hunger, die Vorurteile gegenüber Obdachlosen und die Mittellosigkeit.

Weiteren Diskussionsstoff bildeten die Fragen: «Was bewirkt die Reduktion der äusseren Einflüsse, die Konzentration auf das Wesentliche? Was hat sich für die beiden auf ihrer Wanderung verändert? Wie knüpft man nach einer solchen Wanderung an sein altes Leben an?»

Kritisch gesehen wurde, dass sich das Paar mit Anfang 50 auf diese kräftezehrende Wanderung macht, mit Übernachtungen im Zelt, zu wenig Geld und der drohenden tödlichen Erkrankung. Irritierend empfunden wurde, dass das Buch teilweise fiktiv, wie ein Roman wirkt, obwohl es sich um einen autobiographischen Reisebericht handelt.
Das Resümee der anregenden Diskussion: «Der Salzpfad ist ein Mutmachbuch im Auf und Ab des Lebens. Es ermutigt dazu, nicht aufzugeben, sondern miteinander den nächsten Schritt zu wagen in der Hoffnung, dass sich daraus eine neue Perspektive ergibt.»

zum Anfang


 

Aufbrechen

Autorin: Tsitsi Dangarembga

268 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag 2022

Das Mädchen Tambu wächst in Simbabwe in einer extrem engen Stammes- und Dorfwelt auf, in der erst der Tod ihres Bruders ihr die Chance auf eine schulische Ausbildung gibt. Die Gesellschaftsstrukturen sind mafiös, autoritär und im Zweifel immer gegen die Frauen gerichtet. Tambus Cousine Nyasha durchschaut die Ausbeutung und Benachteiligung sehr viel früher als sie, begehrt auf und endet in einer Magersucht. Tambu steigt zunächst über ihre erfolgreiche Zeit an der Missionsschule auf in eine weiterbildende Klosterschule, bis auch sie feststellt, dass sie Opfer einer Gehirnwäsche geworden ist, die ihre kulturellen Wurzeln zu zerstören droht.

Literaturkreis Holzgerlingen 19. April 2023 (Stadtbücherei)

Der Literaturkreis Holzgerlingen hatte bei seinem Treffen im April 2023 wieder einmal ein besonders „heißes“ Thema: das Buch „Aufbrechen“ von Tsitsi Dangarembga, der Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels von 2021. Es war ihr erster Roman, 1988 auf Englisch in London veröffentlicht, 1991 in einer Übersetzung von Ilija Trojanow in Deutsch erschienen.

Der Literaturkreis diskutierte engagiert und mit viel Empathie die immer noch schwierige Stellung der Mädchen und Frauen in Afrika, die Unterdrückungsstrukturen, die überkommenen hierarchischen Familienverhältnisse und den auch zerstörerischen Einfluss von Mission und Kirche. Simbabwe als eines der reicheren Länder bei der Erlangung der Unabhängigkeit vor 60 Jahren ist von korrupten und diktatorischen Regierungen in erschütternder Weise „arm regiert“ worden, ein „Entwicklungsland“, das sich kaum entwickelt hat. Tsitsi Dangarembga als eine der radikalsten Stimmen Afrikas kämpft für die Befreiung der Frau – erst dann sei Afrika wirklich unabhängig.

Die Diskussion des Literaturkreises erweiterte sich auch auf die kulturellen Probleme von Flüchtlingen und Migranten: wie können sie sich an neuen Orten weiterentwickeln, ohne ihre Wurzeln endgültig zu kappen? Was übernehmen sie, was nicht? Ein großes Thema für einen weiteren Abend.

zum Anfang


 

Krimi 1: Die Insel

Autor: Ragnar Jónasson

382 Seiten, btb Taschenbuch Juli 2020

Vier Freunde auf einer entlegenen Insel, aber nur drei kehren zurück

Hulda Hermannsdóttir, Kommissarin bei der Polizei Reykjavík, ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und wird zu einer abgelegenen Insel geschickt. Was ist dort in dem Haus geschehen, das von der Bevölkerung als das isolierteste Haus Islands bezeichnet wird? Huldas Ermittlungen kreuzen Vergangenheit und Gegenwart – und plötzlich ist sie einem Mörder auf der Spur, der möglicherweise nicht nur ein Leben auf dem Gewissen hat …

Krimi 2: Der Augensammler

Autor: Sebastian Fitzek

439 Seiten, Knaur Taschenbuch Juni 2011

Der Augensammler ist der sechste Psychothriller des deutschen Schriftstellers Sebastian Fitzek aus dem Jahr 2010 und hat die Taten eines grausamen Serienmörders zum Thema.

Erst tötet er die Mutter, dann verschleppt er das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden Zeit für die Suche. Das ist seine Methode. Nach Ablauf der Frist stirbt das Opfer in seinem Versteck. Bislang hat der »Augensammler« keine brauchbare Spur hinterlassen. Da meldet sich eine mysteriöse Zeugin: Alina Gregoriev, eine blinde Physiotherapeutin, die behauptet, durch bloße Körperberührungen in die Vergangenheit ihrer Patienten sehen zu können. Und am Vortag habe sie womöglich den Augensammler behandelt …

Literaturkreis 10. Mai 2023 (Stadtbücherei)

Faszination Krimi – Deutsche Auflagen auf hohem Niveau

In kaum einem Land werden so gern Kriminalromane gelesen wie in Deutschland. Wenn es um Psychothriller geht, kommt man um die erfolgreichen Autoren Sebastian Fitzek und seinen isländischen Kollegen Ragnar Jonasson nicht herum. Warum sind ihre Krimis so beliebt? Dieser Frage ging der Literaturkreis bei seinem letzten Treffen in der Stadtbücherei am Beispiel zweier Romane der o.g. Autoren nach. „Beim Lesen von Krimis befinden wir uns in einer sicheren Spannung ohne großes Risiko“ erklärt Psychotherapeut Philipp Ruland aus Saarbrücken. Er vergleicht das Verlangen nach Spannung mit einer Achterbahnfahrt. Wer sich in eine Achterbahn setze, erzeuge eine künstliche Extremsituation mit der Gewissheit, dass am Ende aber nichts passieren werde. Diese Erfahrung bestätigten die begeisterten Krimi-Leserinnen des Literaturkreises. Die tiefsten seelischen Abgründe, in die einen Sebastian Fitzek oder Ragnar Jonasson mitnehmen, verabscheuen oder erschrecken sie nicht. Warum das so ist, wurde in der Gruppe heftig und sehr kontrovers diskutiert.

Am Ende des Abends gab es keine Annäherung der Positionen. Das Lesen ist eben eine sehr individuelle Erfahrung und nicht jede, jeder mag beim Lesen mit Furcht, Angst oder dem absolut Bösen konfrontiert werden.

Gut, dass Holzgerlingen ein so sicherer Ort ist und alle am Abend ganz entspannt und ohne Furcht nach Hause gehen konnten.

zum Anfang


 

Die Anomalie

Autor: Hervé Le Tellier

352 Seiten, Rowohlt Verlag, Taschenbuch

Die «Anomalie» ist ein raffiniertes Mischwerk aus Spekulation, Thriller, literarischem Spaß und philosophischem Experiment. Hervé Le Tellier hat für diesen Roman, der philosophisch, überraschend, intelligent, unterhaltsam und komisch zugleich ist, den französischen Goncourt-Preis 2020 erhalten.

Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Hier geschieht etwas mit der Boeing: Die Maschine existiert plötzlich doppelt! Eine landet plangemäß im März in den USA, die zweite wird im Juni abgefangen und an einen geheimen Ort gebracht.

«Wie gehen die Menschen damit um, dass es sie plötzlich doppelt gibt?» Die einen haben von März bis Juni ihre Leben normal gelebt, den anderen fehlt dieser Zeitraum. Für jedes Figuren-Duo findet Hervé Le Tellier kreative und unerwartete Einfälle.

Schriftsteller Victor Miesel z.B. hatte sich in der März-Version das Leben genommen. In der Juni-Version stellt er sein letztes Buch in einer Talkshow vor. Auf die Frage: «Was wäre anders, wenn die Welt nur eine Simulation ist?» Antwortet er «Nichts! Wir würden weiterhin morgens aufwachen, zur Arbeit gehen, essen, trinken und so tun, als wären wir real. Wir sind blind gegenüber allem, was beweist, dass wir uns täuschen – das ist menschlich.»

Literaturkreis Holzgerlingen 21. Juni 2023 (Stadtbücherei)

«Wie gehen wir damit um, wenn es uns zweimal gibt?» Diese Frage führte schnell zu einer anregenden Diskussion über Künstliche Intelligenz (KI).

Es wurden die Chancen von KI aufgezeigt, die in verschiedenen Wirtschaftsbereichen bereits menschliche Fähigkeiten ergänzt und stärkt, aber auch die Gefahren erörtert, wenn menschliche Fähigkeiten durch KI ersetzt werden sollen. Bedauert wurde, dass unsere Politik zu wenig Ressourcen bereitstellt, dass KI ausreichend erforscht und reguliert wird. Da in Zukunft immer mehr auf KI gesetzt wird, braucht es Wissenschaftler und ethische Normen, die verantwortlich mit KI umgehen.

Der schwedische Philosoph Nick Bostrom, der Hervé Le Tellier mit seiner Theorie der Welt als digitaler Simulation inspirierte, setzt sich dafür ein.

Der Roman von Le Tellier inspirierte wieder einmal alle Anwesenden zu einem sehr regen Austausch, an diesem Abend insbesondere über die Simulationsanalyse von Bostrom (sind wir Menschen nur eine Simulation?) und über unsere Zukunft mit KI.

zum Anfang


 

 

Eine ganze Welt

Autorin: Goldie Goldbloom

287 Seiten, Taschenbuch Hoffmann und Campe

Die in Australien geborene Autorin dieses Romanes lebt in Chicago, hat acht Kinder, ist Mitglied einer chassidischen Gemeinschaft und hat bereits eine ganze Reihe von Büchern veröffentlicht. „Eine ganze Welt“ ist ihr bislang größter internationaler Erfolg.

Eine Frau am Wendepunkt ihres Lebens: Surie Eckstein, angesehenes Mitglied der chassidischen Gemeinde von Brooklyn, zehnfache Mutter, Ehefrau ihrer Lebensliebe Yidel, wird mit 57 Jahren plötzlich noch einmal schwanger, und das auch noch mit Zwillingen. Ihr Selbstbild in der extrem sitten- und wertestrengen Gemeinschaft bricht zusammen: sie kann die Schwangerschaft nicht öffentlich machen, traut sich in ihrer Scham nicht einmal ihren Mann einzuweihen. Ihr gesamtes soziales Umfeld bricht für sie ein, ihr wird plötzlich bewusst, wie starr die Regeln sind, die ihre ganzes Leben bisher geprägt haben. Sie fängt an, diese Regeln infrage zu stellen. Dabei hilft ihr der Kontakt über ein Krankenhaus, das sie konsultiert: sie beginnt dort mit einer Hebamme zu arbeiten, lernt auf diesem Weg viele neue Menschen und neue Meinungen kennen, will dann auch selbst den Beruf der Hebamme noch lernen. Doch die starren Strukturen ihrer Glaubensgemeinschaft lassen auch das nicht zu, die Konflikte mit ihrem Mann werden größer – und in der Krise kommt ihr größter Lebensschmerz wieder hoch: ihr Sohn Lipa war homosexuell, fand vor Jahren im chassidischen Zwang nur den Ausweg des Selbstmordes. Das hat Surie nie verwunden. Der eindringlich erzählte Roman kulminiert in ihrer nächsten Katastrophe: dem Tod der Zwillinge. Erst jetzt findet sie zum offenen Gespräch mit ihrem Mann zurück. Beide wollen nun in der Gemeinschaft mutiger und offener auftreten.

Literaturkreis Holzgerlingen 19. Juli 2023 (Stadtbücherei)

Der eigene Lebenskreis, so wurde in der Diskussion des Literaturkreises unterstrichen, ist geprägt vom Zusammenleben mit vielen verschiedenen Religionsgemeinschaften, in denen sich die Riten, die sozialen Regeln und die Stellung der Frau erheblich vom eigenen Alltag unterscheiden. Das Verständnis für diese so fremde und ultrakonservative Welt der Religionsgemeinschaft der Chassiden innerhalb des Judentums jedoch ist vielen sehr schwergefallen. Suries Schicksal hat bewegt, selbst wenn man ihr Schweigen gegenüber ihrem Ehemann kaum nachzuvollziehen kann. Das so enge Korsett der sozialen Beziehungen, das auch eine besonders schwere Unterdrückung der Frauen zur Folge hat, ist für manchen und manche nahezu unfassbar. So gab es im Literaturkreis wieder einmal eine äußerst lebhafte Debatte mit vielen Aspekten und Meinungen.

zum Anfang


 

 

Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor

Autor: Steffen Schroeder

318 Seiten, Rowohlt Berlin

Der 1974 in München geborene Autor ist Schauspieler und Schriftsteller, war am Wiener Burgtheater und im Berliner Ensemble, spielte in zahlreichen Fernsehserien und Kinofilmen, engagiert sich im Weißen Ring und gegen Rechtsextremismus.

Das Buch spielt in der Zeit von Oktober 1944 bis Mai 1945. Mit sechsundachtzig Jahren wird vom Nobelpreisträger Max Planck erwartet, dass er ein «Bekenntnis zum Führer» verfasst. Es ist eine der schwersten Aufgaben seines Lebens. Sein geliebter Sohn Erwin war am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligt und sitzt – von Roland Freisler im Volksgerichtshof zum Tode verurteilt – im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Erwins Frau Nelly ist Ärztin beim damals weltberühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. Sie schreibt mit Max Planck zusammen Gnadengesuche an Hitler. Planck muss auch wegen seiner Freundschaft zu Albert Einstein, der schon im April 1933 Deutschland verlassen hatte und ins Exil gegangen war, sehr vorsichtig sein. Alle Briefe und Kontakte über andere prominente Wissenschaftler der NS-Zeit nützen nichts: Sohn Erwin wird am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee von den Nazis ermordet. Vater Max schreibt danach an einen Freund: „Mit jedem neu anbrechenden Morgen kommt es wieder wie ein neuer Schlag über mich, der mich lähmt und mir das klare Bewusstsein trübt… Er war mein Sonnenschein, mein Stolz, meine Hoffnung. Was ich mit ihm verloren habe, können keine Worte schildern.“ Selbst die Musik, die Vater und Sohn Planck so liebten (vor allem Brahms und Rachmaninow), kann kaum trösten.

Der Roman schildert parallel auch einen Teil des Exillebens von Albert Einstein, sein Eintreten für jüdische Freunde in Deutschland, seine Freundschaft zu Max Planck, aber auch sein ausschweifendes Sexualleben und seine Ausforschung durch eine als Geliebte auf ihn angesetzte russische Agentin. Einsteins zweiter Sohn lebte seit 1932 wegen einer Schizophrenie in einer Anstalt in der Schweiz und fühlte sich vom Vater vernachlässigt.

Literaturkreis am 9. September 2023 (Stadtbücherei)

Das Verhältnis zum berühmten Vater Einstein fasziniert den Buchautor Steffen Schroeder ebenso wie die Geschichte der Familie Planck (mit der er über die väterliche Linie verwandt ist). Eine Mehrheit im Literaturkreis kannte Schroeder als Schauspieler und vor allem als Kriminaloberkommissar in der SOKO Leipzig. Die wie immer lebhaften Diskussionen führten rasch über das Buch hinaus zu Themen wie Populismus und Unterdrückung von Wissenschaftlern durch Stalin und Hitler wie auch durch aktuelle Diktatoren wie Putin oder Erdogan. Welcher Widerstand ist heute möglich oder vorstellbar? Was ist realistisch?

zum Anfang


Das Treffen des Literaturkreises am Sonntag, 3. Dezember 2023, 16.00 Uhr im Lichtbau musste leider abgesagt werden. Die Autorin lag mit einer schweren Erkältung im Bett und hat ihre Lesung abgesagt hat.

Thema war das Buch von Leila Slimani „Das Land der Anderen“.

zum Anfang