| Treffen | Titel | Autor |
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| 12.03.2025 | Die Vegetarierin | Han Kang |
| 30.04.2025 | Vaterländer | Sabin Tambrea |
| 04.06.2025 | „Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“ | Ewald Frie |
| 16.07.2025 | Kodokushi und japanische Höflichkeit | Milena Michiko Flašar |
| 17.09.2025 | Die zerbrechliche Zeit | Donatella Di Pietrantonio |
| 05.11.2025 | Gussie | Christoph Wortman |
| 10.12.2025 | Who the Fuck Is Kafka? | Lizzie Doron |
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Autorin: Han Kang Taschenbuch im ATB-Verlag, 190 Seiten, 12 Euro Als 18. Frau (von insgesamt 117 Literaturpreisträgern) erhielt die südkoreanische Autorin Han Kang im letzten Jahr den Literaturnobelpreis. Das Komitee lobte ihre intensive Prosa, die mit historischen Traumata des Landes Korea konfrontiert und die Fragilität des menschlichen Lebens thematisiert. Han Kang habe, so das Preiskomitee, ein einmaliges Bewusstsein für die Verbindungen zwischen Körper und Seele wie auch zwischen Lebenden und Toten. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 12. März 2025 (Stadtbücherei) Im März 2025 widmete sich der Literaturkreis bei seinem Treffen in der Stadtbibliothek dem Roman „Die Vegetariern“ von Han Kang Für den Literaturkreis Holzgerlingen war das die Anregung, „Die Vegetarierin“, das bisher bekannteste Werk von Han Kang zu lesen und zu diskutieren. Yeong-Hye und ihr Ehemann sind ganz gewöhnliche Leute. Er geht beflissen seinem Bürojob nach und hegt keinerlei Ambitionen. Sie ist eine zwar leidenschaftslose, aber pflichtbewusste Hausfrau. Die angenehme Eintönigkeit ihrer Ehe wird jäh gefährdet, als Yeong-Hye beschließt, sich fortan ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen Produkte aus dem Haushalt entfernt. „Ich hatte einen Traum“, so ihre einzige Erklärung. Ein kleiner Akt der Unabhängigkeit, aber ein fataler, denn in einem Land wie Südkorea, in dem strenge soziale Normen herrschen, gilt der Vegetarismus als subversiv. Doch damit nicht genug. Bald nimmt Yeong-Hyes passive Rebellion immer groteskere Ausmaße an. Bis sich ihre gesamte Familie gegen sie wendet. Der Literaturkreis hatte deutliche Schwierigkeiten mit diesem verstörenden und teils bizarren Roman, einige konnten ihn nicht zu Ende lesen, andere kritisierten die Auswahlkriterien des Nobelpreiskomitees. Bei zwei weiteren kurz vorgestellten Romanen („Menschenwerk“ über ein Massaker der damaligen südkoreanischen Militärdiktatur 1980 in Gwanju mit 2.000 Opfern und „Unmöglicher Abschied“ über eine Niederschlagung eines angeblich kommunistischen Aufstandes auf der Insel Jeju 1948 mit über 30.000 Opfern) wurde das Ziel von Han Kang, sich mit historischen Traumata ihres Landes zu beschäftigen, aber sehr deutlich und die Nobelpreisentscheidung verständlicher, denn jahrzehntelang war es in Südkorea verboten, diese Massenmorde zu erwähnen. Noch 2013 bis 2017 stand Han Kang auf einer „Schwarzen Liste“ mit 9.000 Kulturschaffenden, die Kritik an der Regierung geübt oder die liberale Opposition unterstützt hatten. Heute gilt die 1970 geborene Autorin als wichtigste literarische Stimme ihres Landes. |
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Autor: Sabin Tambrea Gutkind Verlag, 361 Seiten, gebundenes Buch Sabin Tambrea ist heute einer der profiliertesten deutschen Schauspieler. Ob auf der Bühne des Berliner Ensembles oder auf der Leinwand – ihn umgibt eine spezielle Aura, die viele Zuschauer in den Bann zieht. In seinem Roman “Vaterländer“ erzählt er die Geschichte seiner rumänisch-ungarischen Familie, die von Flucht, Verlust der Heimat, aber auch Liebe und Zusammenhalt geprägt ist. Der Roman teilt sich in drei Abschnitte, in denen drei Generationen -der junge Sabin, sein Großvater Horea und sein Vater Béla- zu Wort kommen. Im 1. Teil erinnert sich Sabin, wie er als Vierjähriger 1987 mit seiner Mutter und seiner Schwester in Deutschland ankommt, wo sie von Vater Béla erwartet werden. Béla hatte sich zwei Jahre zuvor auf einer Orchesterreise in den Westen abgesetzt, um sich und seine Familie aus der Ceausescu-Diktatur zu befreien. Sabin Tambrea beschreibt einfühlsam und anschaulich, welch großen Bruch Menschen erleben, die die Flucht in ein anderes Land wagen. Der Neuanfang in einem fremden Land bringt nicht nur Freiheit, sondern auch große Entbehrungen und Einsamkeit mit sich. Im 2.Teil lässt Sabin Tambrea seinen Großvater Horea zu Wort kommen. Dieser war 1949 vom rumänischen Geheimdienst verhaftet und ohne Grundlage zu Gefängnis und Arbeitslager ver-urteilt worden. Die Darlegungen zu Haft und Folter sind roher und sperriger zu lesen als die Kapitel I und III, weil sie als Zeitzeugnis geschrieben wurden, um das Unrecht zu benennen. Sabin Tambrea übersetzte die Memoiren und integrierte sie in seinen Roman. Der 3.Teil erfahren wir von seinem Vater Béla, der in Rumänien, in dem sich die Mangelwirtschaft unter Ceausescu weiter verschlimmert, keine Zukunft mehr sieht. Seine Entscheidung, 1985 zu fliehen und seine Familie später nachkommen zu lassen, war risikoreich, bei der es keine Garantie dafür gab, dass der Plan am Ende aufgeht. Die Liebe zwischen Béla und seiner Frau Rodica und der Zusammenhalt der Familie in schwierigen Zeiten führen zur Wiedervereinigung und einem Neuanfang in Freiheit. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 30. April 2025 (Stadtbücherei, Bericht: Uta-Maria Köninger) Der vielschichtige Vortrag über das Buch löste in der Diskussion immer weder ein Déjà-vu Erlebnis aus: Als lesenswert wurde das Buch erlebt wegen: |
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Autorin: Milena Michiko Flašar Taschenbuch Verlag Wagenbach, 2. Auflage 2025, 298 Seiten, 15 Euro Das Buch ist ein eindringliches Porträt der zunehmenden Einsamkeit in Japan. Die Hauptperson Suzu Takada, der jüngeren Generation zugehörig, hat Kommunikationsprobleme mit ihrer Umwelt und wird deshalb aus ihrem Job als Kellnerin entlassen, Begründung: „mangelnder Liebreiz“. Zugleich beendet auch ihr Freund die Beziehung. Sie findet eine neue (zunächst skurril anmutende) Tätigkeit in einer Firma für „Leichenfundortreinigung“, spezialisiert auf Fälle von „Kodokushi“ (unentdecktes einsames Sterben). So gruselig die Vorstellung von solchen Fällen auch ist, die Autorin beschreibt sie extrem einfühlsam und schildert, wie der Chef vor dem Betreten einer Wohnung den Verstorbenen oder die Verstorbene mit größter Höflichkeit anspricht und um Zustimmung und Verständnis für die Reinigungsaktion bittet. Zum „Ritual“ gehört, dass die Reinigungstruppe hinterher gemeinsam essen geht, auch um den Nachgeschmack zu bannen. In der Kooperation mit ihren Kollegen überwindet Suzu Takada nach und nach ihre „Einsamkeitssucht“ und integriert sich in die Arbeitsgruppe. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 16. Juli 2025 (Stadtbücherei) „Kodokushi und japanische Höflichkeit“. Der Stil des Buches ist sensibel, frisch, unpathetisch und trostvoll, fand der Literaturkreis. Das würdevolle Vorgehen gegenüber den Verstorbenen sei beeindruckend, der Respekt vor dem Sterben sehr gut geschildert. In Tokio soll es mehrere Tausend solcher Fälle von „Kodokushi“ pro Jahr geben, Tendenz mit immer höherem Durchschnittsalter der Bevölkerung steigend. Das Buch sei ein Aufruf zu mehr Aufmerksamkeit gegenüber den Nachbarn und mehr Sensibilität für Menschen in Not.
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Autorin: Donatella Di Pietrantonio Kunstmann-Verlag, 2024, 237 Seiten In einem kleinen (und offensichtlich sehr „engen“) Dorf in den Abbruzzen hat ein junger Hirte vor 30 Jahre einen Doppelmord an zwei Frauen begangen, und die beste Freundin der Erzählerin Lucia, Doralice, ist ihm damals nur knapp entkommen. Doralice, schwer traumatisiert, wanderte später nach Kanada aus, und die Freundschaft mit Lucia zerbrach. Als Tochter Amanda eines Tages überstürzt und verstört aus ihrem Studienort Mailand nachhause zurückkehrt, weil sie überfallen und beraubt worden ist, kommen der Mutter alle Erinnerungen an das damalige Verbrechen wieder hoch. Die Tochter schweigt über ihr Erlebnis, bricht ihr Studium aber ab. Die Mutter ist verzweifelt: „Mailand hat mir eine erloschene Tochter zurückgegeben.“ Die Versöhnung misslingt. Amanda zieht wieder aus und beginnt ein ganz anderes Leben. Das „kollektive Verdrängen und Erinnern“, das typisch für die ganze Dorfgemeinschaft ist, ergreift auch die Mutter-Tochter-Beziehung. Die Autorin erhielt für dieses Buch den höchsten italienischen Buchpreis, den „Premio Strega“, der seit 80 Jahren vergeben wird von einer Jury von 200 Personen des kulturellen italienischen Lebens. Bei der Preisverleihung versprach die Autorin, sich weiter für die von den Frauen erkämpften Rechte einzusetzen, „die heute nicht mehr selbstverständlich sind“. Ihr Buch widmete sie allen Frauen, „die überlebt haben“. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 17. September 2025 (Stadtbücherei) „Eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung“. Im September diskutierte der Literaturkreis das Buch „Die zerbrechliche Zeit“, welches eine außerordentlich komplizierte Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter thematisiert. Der Literaturkreis hob die Orientierungslosigkeit der Mutter hervor, lobte aber, dass sie Fehler, Mängel und Unsicherheiten in Bezug auf ihre Tochter zugab und offen über Ängste, Zweifel und Fehler sprach. Dass vieles totgeschwiegen würde, sahen einige als für Italien nicht untypisch an. Die faktische Gewalt gegen Frauen sei aber nicht nur in Italien ein Gegenwartsthema. |
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Autor: Christoph Wortmann Taschenbuch bei dtv, 2025, 287 Seiten „Gussie“ war die zweite Ehefrau von Konrad Adenauer, nachdem seine erste Frau (Emma) im Oktober 1916 an einer Pilzvergiftung gestorben war und ihn mit drei Kindern allein zurückgelassen hatte. Gussie (Auguste Amalie Julie Zinsser) und Adenauer lernten sich in Köln über den Nachbarzaun kennen, schätzen und dann lieben, obwohl er 19 Jahre älter war. Ihre schwierige Ehezeit von 1919 bis 1948 schildert dieser 2024 erstmalig publizierte Erfolgsroman. Gussie war eine lebenslustige, musikalische, diskussionsfreudige junge Frau, die sich mit Adenauers Kindern aus erster Ehe schnell gut verstand und selbst dann fünf Kinder bekam (das erste starb kurz nach der Geburt). Was sie allerdings nahezu zur Verzweiflung trieb, war Adenauers Schweigen. Er sprach nicht viel. Ihrem Vater sagte sie: „Ich fühle mich wie in einer Wüste. Ich habe Angst zu verdursten.“ Sein Anderssein war wie eine Wand zwischen beiden. Dabei konnte die Zeit gar nicht turbulenter sein: Adenauer Oberbürgermeister von Köln ab 1917, von den Nazis 1933 abgesetzt, aus seinem Haus vertrieben, von SA und Gestapo drangsaliert und bedroht, verhaftet und wieder freigelassen. 1937 erst erhielt er eine schmale Pension und eine Entschädigung für sein Kölner Haus, wovon er dann ein Haus in Rhöndorf bauen lassen konnte. Dramatisch wurde es nach dem 20 Juli 1944: Adenauer wurde verhaftet und in das Lage Brauweiler gebracht. Mit Hilfe von Freunden und einer List konnte er entkommen und sich verstecken. Gussie wurde daraufhin in der Kölner Gestapo-Zentrale verhört und gefoltert. Nach der Drohung, eine Tochter und eine Schwiegertochter zu inhaftieren, gab Gussie den Versteckort Adenauers preis und erlitt danach einen seelischen Zusammenbruch, versuchte, sich das Leben zu nehmen. An den Spätfolgen dieses Suizidversuches starb sie im März 1948. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 05. November 2025 (Stadtbücherei) Der Literaturkreis war sich einig: ein sehr lohnendes Buch, zugleich ein Ausflug in die deutsche Vergangenheit und in die frühe Zeit von Konrad Adenauer, bevor er 1949 im Alter von 73 Jahren zum ersten Bundeskanzler der neuen Bundesrepublik gewählt wurde. Der Roman vermischt geschickt die verschiedenen Zeitebenen Vergangenheit und 1948 als Gegenwart und lässt Gussie und ihre Familie über Rückblenden die Vergangenheit Revue passieren. Hatte ihr Mann durch sein Schweigen ihre Lebenswünsche zerstört? Wie fiel ihr Schicksalsresümee aus? Interessant ist, dass es am Schluss doch eher positiv war, auch wenn sie zum Teil an ihrem Glauben zweifelte: „Was ist das für ein Gott, der zulässt, dass eine Frau ihren Mann verrät?“ |
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Autor: Lizzie Doron Taschenbuch dtv München 2015, 256 Seiten, 14,90 Euro Ein von der EU unterstütztes Film- und Buchprojekt mit einer israelischen Schriftstellerin und einem arabisch-palästinensischen Fotografen und Filmemacher – ist das vorstellbar? Heute wohl gar nicht mehr. Die israelisch-österreichische Schriftstellerin Lizzie Doron verlegt die Handlung ihres vor zehn Jahren erschienen Romans in das Jahr 2011 und beschreibt die schon damals in weiten Teilen groteske Situation, den Irrsinn des Nahost-Konflikts, Willkür und gegenseitige Gewaltanwendung und aussichtslose Friedensbemühungen. Die nötige kontinuierliche Zusammenarbeit für das EU-Projekt der beiden ist schwer zu verwirklichen: Er steht bei seinen eigenen Leuten unter Kollaborationsverdacht, sie wird von Siedlern und Orthodoxen angegangen, wenn beide in Ost-Jerusalem unterwegs sind. Er ist geprägt von der seit 1948 aktuellen Vertreibungsgeschichte der Palästinenser, sie als Tochter einer polnischen Jüdin und Holocaustüberlebenden in einem seit Geburt traumatisierten und von Alpträumen gefüllten Leben. Ihre Dialoge sind voll gegenseitigem Unverständnis und voller Vorurteile. Das EU-Projekt scheitert, die Abgesandte der EU kommentiert die sie sprachlos machenden Geschichten der beiden immer wieder als „kafkaesk“. Die Absurdität und Ausweglosigkeit der Lebenssituation in Israel und in den Palästinensischen Gebieten wird in dem überwiegend autobiographischen Roman plastisch und zum Teil emotional geschildert. Die Autorin wird in Israel als „Verräterin“ angefeindet, dieses Buch wie auch ihre neueren Werke erscheinen nicht in Israel. |
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Literaturkreis Holzgerlingen 10. Dezember 2025 (Generationenhaus) Im Dezember 2025 verband der Literaturkreis seine kleine Weihnachtsfeier im Generationenhaus mit der Diskussion des Buches von Lizzie Doron „Who the Fuck Is Kafka?“ Der Literaturkreis diskutierte so lebhaft und heftig wie seit langem nicht, alle Positionen in unserer Gesellschaft zu dem jahrzehntelangen Konfliktgeschehen kamen zur Sprache. Das Buch ließ niemanden unberührt. Zugänglicher wurde die Diskussion mit einer kurzen Lesung aus Sasa Stanisic‘ Buch „Vor dem Fest“. Und in nüchterne Themen zurückgeführt wurde der Kreis dan durch einen Kurzbeitrag eines Teilnehmers über den diesjährigen Literaturnobelpreisträger Laszlo Krasznahorkai vor, dessen Werke als zum Teil auch von Franz Kafka beeinflusst beschrieben werden: postmodern und apokalyptisch. Ob allerdings einer aus dem Kreis einen Roman lesen wird, der auf 400 Seiten aus einem einzigen Satz besteht (der Preisträger sieht einen Punkt als „allein Gott gehörig“ an), blieb nach der humorvollen Einführung offen. |
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Beim nächsten Treffen im Januar sollen „Das Buch von Blanche und Marie“ von Per Olov Enquist und „Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sasha Marianna Salzmann diskutiert werden. |







